Bernd Albers – traditionsbewusster Stadtgestalter

Teil 25 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Bernd Albers
*1957 in Coesfeld †2022 in Berlin
deutscher Architekt

„Aufregend selbstverständlich – Aufgeregte Architektur gibt es reichlich, aufregende Architektur ist dagegen eher selten. Ganz selbstverständlich arbeiten wir am Aufregenden, ganz unaufgeregt arbeiten wir am Selbstverständlichen.“ – Bernd Albers

Bernd Albers galt als vehementer Verfechter der Rekonstruktion der Berliner Innenstadt nach historischem Vorbild und wirkte nach dem Mauerfall dabei mit, die Stadt auch architektonisch wiederzuvereinen. Zu Beginn seiner Karriere waren seine architektonische und stadtplanerische Ausrichtung vom Modernismus geprägt. Doch schon bald schloss er sich in Berlin einer informellen Gruppe von Architekten – auch das „steinerne Berlin“ genannt – an, die zur Neuinterpretation historischer Bauten und Fassaden tendierten. Auch der Neuen Altstadt Frankfurts verhalf er mit zwei Rekonstruktionen nach historischem Vorbild zum ursprünglichen Charme zurück.

Bild: Das Gerber Einkaufszentrum in Stuttgart von Silesia711. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Albers studierte bis 1987 Architektur in Berlin. Während seines Studiums sammelte er erste Arbeitserfahrungen als freier Mitarbeiter im Büro des Star-Architekten Hans Kollhoff. Sein erstes eigenes Architekturbüro gründete er 1988 in Zürich. Seit 1993 befindet sich die heutige Bernd Albers Gesellschaft von Architekten mbH in Berlin. Bernd Albers war maßgeblich an der Stadtentwicklung Berlins beteiligt. Dafür bekam er 2006 den Deutschen Städtebaupreis verliehen. Neben seiner Arbeit als Architekt war Albers als Dozent und Gastprofessor an diversen Universitäten in Deutschland, der Schweiz und Italien tätig.

Planwerk Innenstadt

Ende der 1990er Jahre war Albers einer der Verfasser und Obergutachter des „Planwerks Innenstadt“, ein städtebaulicher Masterplan für den Inneren Bereich Berlins. Nach der Wiedervereinigung konzentrierte sich die Stadtplanung darauf die markanten Berliner Blöcke wiederherzustellen. Albers war dabei besonders an der Nachverdichtung von Freiflächen interessiert, die durch die autogerechte Stadtplanung in der ehemaligen DDR entstanden waren. Seine Bebauungspläne des Marx-Engels-Forums sowie des Umfelds des Fernsehturms lösten starke Debatten und Kontroversen aus. Sie führten dazu, dass das historische Zentrum per Senatsbeschluss aus dem Planwerk Innenstadt ausgespart wurde.

Berlin-Brandenburg 2070

Bild: Plan „Zusammenwachsen – Landschaf(f)tStadt“ von Bernd Albers Gesellschaft von Architekten mbH. Bildnachweis: AIV – Internationaler Städtebaulicher Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070.

Zum 100-jährigen Jubiläum des Städtebaus für Groß-Berlin lobte der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V. 2020 einen Ideenwettbewerb über die Zukunft der Metropolregion aus. Das Architekturbüro von Albers gewann den ersten Preis unter fünf Gewinnern des Internationalen Städtebaulichen Wettbewerbs. Der Entwurf seines Büros „Zusammenwachsen – Landschaf(f)tStadt“ zeigt, wie der bereits existierende Raum Groß-Berlins weiterentwickelt und zukunftsfähig werden kann. Dabei ging es nicht um die Gestaltung einzelner Häuser, sondern um strukturelle Pläne zu Stadt- und Freiraum, Städtebau, Nutzung, Verkehr und Bebauung. Albers berief sich deshalb auf ein zukunftsweisendes, aber auf dem Ist‐Zustand aufbauendes Gesamtkonzept für Berlin‐Brandenburg in 50 Jahren mit dem Motto: „In der Beschränkung zeigt sich der Meister“. Albers konnte sich vor allem durch seine Weitsicht für die gesamte Metropole von anderen Einreichungen abheben, die sich überwiegend auf den sogenannten Speckgürtel von Berlin fokussierten.

Molkenmarktviertel Berlin

Der älteste Platz Berlins – der Molkenmarkt – wurde im zweiten Weltkrieg zerstört und anschließend durch einen autogerechten Umbau der Innenstadt weiter beschnitten. Die Neugestaltung des Quartiers wird daher bereits seit den 1990ern geplant. 2016 hat der Senat rechtsverbindlich beschlossen den ehemaligen historischen Stadtkern wiederzubeleben. Im November 2021 konnte Bernd Albers Gesellschaft von Architekten mbH die Auslobung zur Neugestaltung des Molkenmarkts zusammen mit einem anderen Team für sich entscheiden. Die Pläne von Albers orientieren sich dabei an der historischen Blockrandbebauung des einstigen Molkenmarktviertels, während der Siegerentwurf des dänischen Büros OS arkitekter eine radikalere moderne und nachhaltige Gestaltung vorsieht. Albers Pläne sehen überwiegend die Errichtung schmaler Stadthäuser auf der Breite der historischen Parzellen vor. Nur an wenigen Stellen, an denen diese Lösung aufgrund vorgegebener Parameter nicht möglich ist, sollen größere Haustypen die Straßen säumen. Im Februar und April 2022 gingen die Entwürfe zur Weiterbearbeitung in die öffentlichen Werkstätten, um mit den Fragen und Ideen der Stadtgesellschaft in Einklang gebracht zu werden. Nach dem Tod von Bernd Albers werden seine Geschäftspartner Prof. Dr. Silvia Malcovati und Stefan Lotz das Projekt weiterführen.

Diébédo Francis Kéré – futuristischer Traditionalist

Teil 24 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Francis Kéré
*1965 in Gando, Burkina Faso
burkinischer Architekt

Der burkinische Architekt Diébédo Francis Kéré ist der Gewinner des Pritzker-Preises 2022. Kérés Architektur steht für soziale Gerechtigkeit, soziales Engagement und die intelligente Verwendung lokaler Materialien. Kéré verbindet technisches Wissen und ein tiefes Umweltverständnis mit kultureller Sensibilität, Engagement und Hingabe. Der in Berlin lebende Architekt, Pädagoge und soziale Aktivist baut zeitgemäße Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Wohnungen, öffentliche Gebäude und öffentliche Räume. Und dies oft in Ländern, in denen die Ressourcen knapp sind und die Gemeinschaft lebensnotwendig ist.

Pritzker kommentiert seine Entscheidung für den Preisträger Kéré wie folgt: „Er leistet Pionierarbeit im Bereich der Architektur – nachhaltig für die Erde und ihre Bewohner – in Ländern mit extremer Knappheit. Er ist gleichermaßen Architekt und Diener und verbessert das Leben und die Erfahrungen unzähliger Bürger in einer Region der Welt, die manchmal vergessen wird. Durch Gebäude, die Schönheit, Bescheidenheit, Kühnheit und Erfindungsreichtum demonstrieren, und durch die Integrität seiner Architektur und seiner Geste, hält Kéré die Mission dieses Preises anmutig aufrecht.“ Kéré selbst sagt über seine Architektur: „Ich hoffe, einen Paradigmenwechsel herbeiführen zu können, die Menschen zum Träumen und zum Risiko zu bewegen. Nur weil man reich ist, sollte man kein Material verschwenden. Nicht weil man arm ist, sollte man nicht versuchen, Qualität zu schaffen. Jeder verdient Qualität, jeder verdient Luxus, und jeder verdient Komfort. Wir sind miteinander verbunden, und die Sorgen um Klima, Demokratie und Ressourcenknappheit gehen uns alle an.“

In der Heimat verwurzelt …

Geboren wurde Diébédo Francis Kéré 1965 in Burkina Faso – einem der am wenigsten entwickelten Länder Afrikas. In seinem Heimatdorf Gando gab es weder Strom noch fließendes Wasser und keinen Zugang zu Bildung oder einer adäquaten Gesundheitsversorgung. Kéré war der älteste Sohn des Dorfoberhaupts und der erste in seiner Gemeinde, der eine Schule besuchte. Mit sieben Jahren musste er dafür nach Tenkodogo umziehen. Sein Klassenzimmer teilte er mit mehr als hundert anderen Kindern. Der Raum bestand aus bloßen Zementblöcken und verfügte weder über Belüftung noch über Licht. In diesem extremen Klima reifte sein Wunsch etwas Besseres zu erschaffen. 1985 führte ein Stipendium Kéré nach Deutschland, wo er nach seinem erfolgreichen Studium der Architektur in Berlin 2005 sein dortiges Büro Kéré Architecture gründete. Trotz seines internationalen Erfolgs hat der Burkinabe sein Versprechen, bessere Schulgebäude für seine Heimat zu entwickeln, nie vergessen.

Bild: “Grando Primary School” von Erik-Jan Owerkerk. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

Herzensprojekt: Gando Primary School

2001 setzte Kéré sein Versprechen schließlich mit der Gründung der Stiftung „Schulbausteine für Gando e.V.“ (heute Kéré Foundation e.V.) in die Tat um und entwarf eine Grundschule für seine Heimatgemeinde. Ein Herzensprojekt, mit dem Kéré das grundlegende Bedürfnis nach Bildung in seiner Heimat erfüllen und soziale Ungerechtigkeiten beseitigen wollte. Sein Entwurf erforderte ein zeitgemäßes Design, das mit begrenzten Mitteln den Herausforderungen von extremer Hitze und schlechten Lichtverhältnissen begegnet. Zudem musste Kéré die Unsicherheit seiner Gemeinde dem Projekt gegenüber überwinden. Er sammelte international Spenden und schuf gleichzeitig Ausbildungs- und Arbeitsstellen für die Bürger vor Ort. Diese stellten von der Konzeption bis zur Vollendung fast alle Bauteile der Schule in Handarbeit her. Einheimischer Lehm wurde mit Zement angereichert, um Ziegelsteine mit bioklimatischer thermischer Masse zu bilden. Sie halten die kühlere Luft im Inneren zurück, während die Wärme durch eine Ziegeldecke und ein breites, überhängendes, erhöhtes Dach entweichen kann. Dies ermöglicht eine Belüftung ohne den Einsatz von Klimaanlagen. Der Bau der „Gando Primary School“ führte zu einem Anstieg der Schülerzahlen von 120 auf 700 und gab den Impuls zum Bau von Lehrerwohnungen (2004), eines Erweiterungsbaus (2008) und einer Bibliothek (2019). Für das Projekt gewann Kéré 2004 den Aga Khan Award for Architecture: der Beginn seiner internationalen Karriere.

Aus der Gemeinschaft für die Gemeinschaft

Bild: “Burkina Insitute of Technology” von Francis Kéré. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

Die Grundschule in Gando war nur der erste Schritt für Kéré auf seinem Weg zur Verbesserung der Gemeinschaften und der Beseitigungsozialer Ungerechtigkeiten. Es folgten weitere Grund- und Sekundarschulen, Hochschulen und medizinische Einrichtungen in Burkina Faso, Kenia, Mosambik und Uganda. Für seine Entwürfe verbindet Kéré stets lokale Materialien mit technologisch modernen Bautechniken. So entstehen Gebäude, die sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig sind und eine besondere Sensibilität für ihre bioklimatische Umgebung aufweisen. Der Startup Lions Campus (2021, Turkana, Kenia), ein Campus für Informations- und Kommunikationstechnologien, beispielsweise verwendet örtliche Bruchsteine und gestapelte Türme zur passiven Kühlung, um den Einsatz der zum Schutz der technischen Geräte erforderlichen Klimaanlage zu minimieren. Das Burkina Institute of Technology (Phase I, 2020, Koudougou, Burkina Faso) wiederum besteht aus kühlenden Lehmwänden, die in-situ gegossen wurden, um den Bauprozess zu beschleunigen. Eukalyptusbäume auf den abgewinkelten Wellblechdächern schützen das Gebäude während der kurzen Regenzeit im Land. Zusätzlich wird das Regenwasser unterirdisch gesammelt, um die Mango-Plantagen auf dem Gelände zu bewässern.

Das „Operndorf Afrika“

Neben Schulgebäuden in afrikanischen Ländern hat Kéré auch temporäre und permanente Strukturen in Dänemark, Deutschland, Italien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten erschaffen. Zu seinen aktuellen Projekten zählen die Nationalversammlung von Burkina Faso (Ouagadougou, Burkina Faso), die Nationalversammlung von Benin (Porto-Novo, Republik Benin) und das bereits teilweise realisierte „Operndorf Afrika“. Bei diesem Projekt handelt es sich um einen interkulturellen Ort, der 30 Kilometer nordöstlich der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou entsteht. Schirmherr ist der Bundespräsident a. D. der Bundesrepublik Deutschland Horst Köhler. Initiiert wurde das Projekt 2010 von dem Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der es trotz schwerer Krebserkrankung bis zum Schluss vorangetrieben hat. Herzstück des Projekts ist das Festspielhaus im Zentrum des Areals, das von Künstlerateliers, einem Gesundheitszentrum und einer Schule umgeben sein wird. Die Schule nahm bereits 2011 ihren Betrieb auf. Hier werden rund 300 Kinder unterrichtet, in Klassen von jeweils 50 Kindern. Eine deutliche Verbesserung also zu den Bedingungen während Kérés eigener Schulzeit und damit ein weiterer Meilenstein seiner sozial engagierten Architektur.

 

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Vincent Callebaut – Visionär nachhaltiger Architektur

Teil 23 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Vincent Callebaut
*1977 in La Louvière, Belgien
belgischer Architekt

„Ich möchte Städte in Ökosysteme verwandeln, Nachbarschaften in Wälder und Gebäude in Bäume“ – Vincent Callebaut.

Vincent Callebauts zukunftsweisende Architektur ist inspiriert von der Literatur von Jules Verne, von Science-Fiction, von der kreativen Welt der Comics und von der Natur. In seinem Büro sowie in Zusammenarbeit mit renommierten ausländischen Architekturbüros entwirft er zahlreiche futuristische und extravagante Projekte, deren bevorzugtes Thema die „ideale ökologische Stadt von morgen“ ist. Vor dem Hintergrund der Prognose eines Anstiegs der Weltbevölkerung auf 9 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 experimentiert Callebaut intensiv mit Ideen für ein utopisch-ökologisches Stadtleben. Er möchte Gebäude erschaffen, die dem Klimawandel aktiv entgegenwirken. Seine Entwürfe sollen dabei nicht nur energieautark sein, sondern auch bestehende Luftverschmutzungen bereinigen.

Geboren wurde der Visionär für grüne Architektur in La Louvière in Belgien. 2000 absolvierte er seinen Abschluss in Architektur an der Freien Universität Brüssel und zog im Anschluss nach Paris. Dort arbeitete Callebaut zwei Jahre lang für die Stadtplanungsarchitekten Odile Decq und Massimiliano Fuksas, bevor er sein eigenes Architekturbüro „Vincent Callebaut Architectures“ gründete. Die Weltausstellung 2010 in Shanghai verschaffte Callebaut internationale Bekanntheit und Anerkennung. In sieben Pavillons, darunter der chinesische und der deutsche, wurden mehrere seiner Projekte ausgestellt. Die Projekte „Dragonfly“ und „Lilypad“ zählen zu seinen bekanntesten Entwürfen.

Dragonfly

Callebauts „Dragonfly“ ist der Entwurf für einen exotischen Wolkenkratzer in New York. Er besitzt die Form riesiger Libellenflügel aus Glas und Stahl, wobei die beiden Flügel durch ein bioklimatisches Gewächshaus verbunden sind. Die Dragonfly/Libelle ist der Prototyp einer städtischen Farm und umfasst 132 Stockwerke sowie eine vertikale Ausdehnung von 600 Metern mit Gemüsegärten, Feldern sowie Fleisch-, Milch-, Geflügel- und Eierproduktion, in denen die Menschen ihre eigenen Lebensmittel anbauen. Das zukunftsweisende Hochhaus bietet Platz für 28 verschiedene landwirtschaftliche Produktionsfelder, ist energie- und wasserautark und produziert sein eigenes biologisches Düngemittel. Die Zwischenräume der Flügel sind so konzipiert, dass sie die Sonnenenergie nutzen, indem sie im Winter warme Luft in der Struktur ansammeln. Im Sommer kühlen die natürliche Belüftung und die Verdunstung der Pflanzen das Gebäude ab.

Lilypad

Mit seiner „Lilypad“ hat Callebaut einen biotechnologischen Prototyp für schwimmende Städte entwickelt. Das von der stark gerippten Blattform der Amazonas-Riesenseerose inspirierte Stadtmodell ist als Langzeitlösung für zukünftige Klimaflüchtlinge gedacht. Die doppelte Haut der Struktur besteht aus Polyesterfasern, die mit einer Schicht aus Titandioxid überzogen sind. Das Titandioxid reagiert mit ultravioletten Strahlen und absorbiert durch seine photokatalytische Wirkung die Luftverschmutzung. Lilypad ist als eine autarke Stadt angelegt und bietet Platz für 50.000 Personen. Jede Seerose besteht aus drei Yachthäfen und drei „Bergen“, die für Unterhaltungszwecke gedacht sind. Eine zentral gelegene künstliche Lagune hat die Aufgabe, Wasser zu sammeln und zu reinigen. Durch die Integration aller erneuerbaren Energien soll die schwimmende Stadt eine positive Energiebilanz ganz ohne Kohlenstoff-Emissionen erreichen und dauerhaft mehr Energie produzieren als verbraucht wird.

Tao Zhu Yin Yuan

Der grüne Wohnturm in Taipeh (2013-2018) ist eines der wenigen bereits realisierten Projekte Callebauts. Er ist der Struktur der Doppelhelix der DNA nachempfunden, wobei jede Doppelhelix aus zwei Wohneinheiten besteht, die eine Ebene bilden. Die um 90 Grad verdrehte Struktur des Gebäudes ermöglicht Freiluftgärten auf jeder Ebene und eine Panorama-Aussicht für jede Wohneinheit. Insgesamt wachsen rund 23.000 Bäume, Sträucher und Pflanzen auf den Freiflächen des 20-stöckigen Turms. Dadurch können jährlich 130 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen absorbiert werden. Tao Zhu Yin Yuan verfügt zusätzlich über natürliche Lüftungskamine, die die Luft im Inneren filtern und eine Konstruktion zur Sammlung und Aufbereitung von Regenwasser sowie Solar- und Windkraft. Auch alle im Inneren verwendeten Materialien sind umweltfreundlich, ökologisch und recyclebar.

The Green Arch

Für die Expo 2020 in Dubai entwarf Callebaut zusammen mit Assar Architects den belgischen Pavillon “The Green Arch” – eine beeindruckende Kombination aus intensiver Begrünung und futuristischem Massivholz-Design. Der Pavillon ist als Beispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung gedacht und bietet Besuchern einen Einblick in ein smartes und grünes Belgien im Jahr 2050. Das Gebäude verfügt über ein große photovoltaisches und thermisches Solardach, das Strom und Warmwasser für den Eigenverbrauch des Pavillons erzeugt. Gemäß seines Namens wurde der „grüne Bogen“ optisch an den Brückenbau angelehnt: Er bildet ein riesiges Gewölbe mit doppelter Krümmung zwischen seinen beiden Pfeilern. Das geschwungene Gewölbe basiert auf der mathematischen Minimalfläche, dem „hyperbolischen Paraboloid“. Dieses Paraboloid aus Fichtenholzlamellen bildet eine riesige hölzerne Mashrabiyya und umhüllt das gesamte Gebäude, um es besser vor Sonneneinstrahlung zu schützen.

 

 

Weitere aufsehenerregende Projekte von Vincent Callebaut sind sein nachhaltiges Konzept “Paris Smart City 2050”, die Neugestaltung von Aix-les-Bains, der Pollinator-Park der Europäischen Kommission sowie seine fünf Landwirtschaftsbrücken im Irak.

Sir Richard Rogers – Ritter der High-Tech-Architektur

Teil 22 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Richard Rogers
*1933 in Florenz, Italien
†2021 in London, England
britischer Architekt

Das Centre Pompidou, Ground Zero oder der Potsdamer Platz: Sir Richard Rogers hat an vielen Orten eindrucksvolle Meilensteine der High-Tech-Architektur hinterlassen und wurde dafür 1991 von der Queen zum Ritter geschlagen. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 2019 die AIA Goldmedaille und 2007 den Pritzker-Preis für seine „einzigartige Interpretation der Faszination der modernen Bewegung für das Gebäude als Maschine“.

Rogers wurde in Italien geboren, wuchs aber größtenteils in England auf, da seine Familie wegen der jüdischen Herkunft des Vaters aus Italien fliehen musste. Während seines Wehrdienstes wurde er nach Triest in Italien versetzt. Dort lernte er die Arbeiten seines Großcousins Ernesto Nathan Rogers und dessen Architektengruppe BBPR kennen. Davon inspiriert entschied er sich für ein Studium der Architektur an der Architectural Association School in London (1954-1959). Seinen Master absolvierte er an der Yale School of Art and Architecture. Dort lernte er auch die Werke seines ersten großen Vorbilds kennen: Frank Lloyd Wright. Zurück in England gründete mit seiner späteren Ehefrau Su Brumwell, Norman Foster und dessen späterer Ehefrau Wendy Cheeseman 1963 ein eigenes Architekturbüro. Das „Team 4“ wurde zu einem Nährboden für die britische High-Tech-Bewegung. 1977 gründete er sein eigenes Architekturbüro Richard Rogers Partnership (später Rogers Stirk Harbour + Partners LLP), das bis heute mit Niederlassungen in London, Barcelona, Madrid und Tokio vertreten ist. Bis 2005 war er zudem Teil der Urban Task Force, einer Arbeitsgruppe der britischen Regierung zur Stadterneuerung. Am 18. Dezember 2021 verstarb Rogers im Alter von 88 Jahren.

Baustil

Rogers gilt als einer der wichtigsten Vertreter der High-Tech-Architektur, die in den 1970ern aufkam. Die damals neuartige Technologie verwendet strukturellen Stahl und andere Werkstoffe der Hochtechnologie für ihre futuristisch anmutenden Gebäudekomplexe. Ein berühmtes Beispiel ist die Glaskuppel auf dem Reichstagsgebäude in Berlin. Die High-Tech-Architektur ist in der Chicagoer Schule verwurzelt und zu ihren architektonischen Vorbildern gehören unter anderem die Hochhäuser von Mies van der Rohe. Außerdem ließen sich Rogers und Foster von den frühen Industriebauten in Nordengland inspirieren. Rogers besondere architektonische Handschrift zeigt sich in der demonstrativen Sichtbarkeit der Gebäude-Infrastruktur. Die Gestaltung dieser High-Tech-Elemente orientiert sich vom Design her an Vorbildern aus dem Schiffs- oder Automobilbau und der Computertechnologie.

Centre Pompidou

Bild: „Centre Georges-Pompidou“ von Suicasmo. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Eines der ersten Highlights seines Schaffens war das Centre Pompidou (1971-1977) in Paris, das er zusammen mit dem italienischen Architekten Renzo Piano entwarf. Heute gilt das weltweit bekannte Kunst- und Kulturzentrum als Designikone und als Vorreiter der High-Tech-Architektur. Das Tragwerk und die Rohre sind sichtbar außen an der Gebäudefassade angebracht und weiß bemalt. Auch andere funktionale Elemente strahlen in klaren, satten Farben: die Treppen und Rolltreppen rot, die Elektrik gelb, die Wasserrohre grün und die Rohre der Klimaanlage blau. So übernehmen die Versorgungssysteme über ihre technische Funktion hinaus auch eine ästhetische Aufgabe. Überdies kann der Innenraum maximal ausgenutzt werden.

Three World Trade Center

Bild: „Three World Trade Center“ von Antony-22. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Ein weiteres Leuchtturmprojekt in der Laufbahn von Rogers ist der Entwurf des dritten Wolkenkratzers für Ground Zero in 2006, das 329 m hohe Three World Trade Center (2010 – 2018). Die Fassade des 80 Stockwerke umfassenden Turms besteht aus 10.000 Glaspaneelen. Stahlträger und -balken bilden ein K-förmiges Gittermuster an den Seiten des Turms. Die Ecken haben keine Pfeiler und werden durch ein äußeres Verstrebungssystem aus Glas und Stahl geformt. Diese Verstrebungen enden in Edelstahl, um das reflektierende Glas zu ergänzen. Um die Sicherheit im Turm zu erhöhen sind die Aufzüge, Treppenhäuser und Versorgungsleitungen in einem massiven Stahlbetonkern im Inneren des Gebäudes untergebracht.

Weitere bekannte Werke von Rogers sind das Lloyd’s of London, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, The 02 (früher: Millenium Dome) in London, das Walisische Parlament in Senedd und der Flughafen Madrid-Barajas. In Deutschland war er zusammen mit anderen Star-Architekten am Wiederaufbau des Potsdamer Platzes beteiligt. Dafür entwarf er einen Gebäudekomplex aus drei Bauten in der Linkstraße. Zusammen mit Oliver Collignon gestaltete er außerdem den U-Bahnhof Rotes Rathaus.

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Richard Paulick – Vater der Platte

Teil 21 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Richard Paulick
(*1903 in Roßlau (Elbe)
†1979 in Ost-Berlin)
Deutscher Architekt

Richard Paulick gilt als Vater der Platte. Im Bauhaus wurde er einst zur rechten Hand von Walter Gropius, später führte er als Chefarchitekt in der DDR das industrielle Bauen ein. Jetzt wurde Paulicks spannendes Leben und Wirken wiederentdeckt und in einem Buch festgehalten.

Nach seinem Architekturstudium in Dresden und während seines Studiums in Berlin arbeitete Paulick im Bauhaus Dessau. Es gelang ihm, im Baubüro von Walter Gropius eine Anstellung als freier Mitarbeiter zu bekommen. In dieser Zeit schloss er enge Beziehungen zu den Bauhaus-Meistern Georg Muche und Marcel Breuer. Gemeinsam mit Gropius arbeitete Paulick am Dessauer Arbeitsamt und an den Dessau-Törten. Nachdem Gropius das Bauhaus und Dessau 1928 verließ, fungierte Paulick erst als sein Büroleiter vor Ort und folgte Gropius schließlich 1929 nach Berlin. Im Sommer 1930 eröffnete er dort sein eigenes Architekturbüro. Paulick war auch politisch sehr engagiert und zeitweise sogar SAP-Funktionär. Durch seine Zugehörigkeit zu der linkssozialistischen Partei sah er sich 1933 gezwungen zu emigrieren.

Im Sommer 1933 erreichte Paulick nach seiner Flucht aus Berlin den Hafen in Schanghai Hongkou, der während des Zweiten Weltkriegs für viele Flüchtlinge einer der letzten Fluchtwege war, da er ihnen ohne Visum Zuflucht gewährte. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Schanghai zum Finanzzentrum Chinas und des Fernen Ostens geworden. Dank der florierenden Wirtschaft fand Paulick schnell Arbeit in der Innenarchitekturfirma The Modern Home. Nach der Schließung von The Modern Home gründeten Paulick, sein Bruder Rudolf und Architekt Hans Werther 1937 ihr eigenes Unternehmen: Modern Homes. Gemeinsam mit seinem Bruder gründete Paulick später weitere Firmen in China: The Studio (1942), Paulick & Paulick Architects and Engineers (1943) und Modern Textiles (1948). Zusätzlich war Paulick als Professor und Leiter des Stadtplanungsamtes tätig und ab 1946 oberster Bauberater der Allchinesischen Eisenbahn. Während der Kriegsjahre hatte der Architekt die Gelegenheit, sich in einer Vielzahl von Disziplinen zu üben. So setzte er Konzepte der modernistischen Bewegung um, die die Zukunft Schanghais tiefgreifend prägten. Paulick beeinflusste sowohl die akademischen als auch die beruflichen Kreise, in denen er sich bewegte, nachhaltig.

Bild: „Paulick-Kandelaber“ von Gryffindor. Public Domain.

Nach seiner Rückkehr aus China im Jahr 1949 ließ Paulick sich in der DDR nieder. Dort war er maßgeblich am Wiederaufbau des historischen Berlins und Dresdens beteiligt. Für die Beleuchtung der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) entwarf er die markanten zwei- und vierarmigen „Paulick-Kandelaber“, von denen insgesamt 215 gebaut wurden.

Optisches Vorbild für die Kandelaber waren Albert Speers OWA-Kandelaber an der damaligen Ost-West-Achse in West-Berlin. Weitere Bekanntheit erlangte Paulick durch seine Entwürfe zum Wiederaufbau der Deutschen Staatsoper (1951–1955). Auch seine Tätigkeit als Chefarchitekt der „sozialistischen Städte“ Hoyerswerda (1958–1960), Schwedt an der Oder (1962–1965) und Halle-Neustadt (1963–1968) war von nachhaltiger Wirkung. Für seine Leistungen als Architekt und Städteplaner wurde er mit mehreren Preisen gewürdigt: dem Goethepreis der Stadt Berlin (1951), dem Nationalpreis I. Klasse (1952) und dem Nationalpreis für den Aufbau der Deutschen Staatsoper Berlin (1956).

Das „Metall-Typenhaus“

Gemeinsam mit Georg Muche entwickelte Paulick während seiner Zeit im Bauhaus das sogenannte „Metall-Typenhaus“: ein Haus mit ausbaufähigem Grundriss, das in kurzer Zeit errichtet werden konnte. Nach dem ersten Weltkrieg war kostensparendes und flexibles Bauen das Ziel vieler Architekten. In Zusammenarbeit mit Paulick errichtete Muche 1926/1927 ein entsprechendes Musterhaus in Dessau-Törten. Das Gebäude war ein Stahltafelbau:

Bild: „Stahlhaus Dessau 2“ von Thomas Guffler. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Auf eine Stahlskelett-Tragkonstruktion wurden 3 mm starke Stahltafeln als Außenwandplatten montiert. Es war nicht unterkellert. Muche und Paulick wollten mit dem Haus aus Metall eine Kongruenz aus industrieller Fertigung und Formensprache erschaffen.

Die Vorteile des Hauses wurden jedoch von einer Reihe von Mängeln überlagert, die sich aus dem Baustoff Metall ergaben. Allen voran die unzureichende Wärmeisolierung und Belüftung. Auch deshalb wurde es von der zeitgenössischen Kritik für unbewohnbar befunden. So blieb das Stahlhaus das einzige seiner Art in Dessau.

Vater der Platte

Schon als junger Mann träumte Paulick davon, Städte nach dem Baukastenprinzip zu bauen, die trotzdem lebendig sind. Bereits in jungen Jahren produzierte er Aufklärungsfilme über das Neue Bauen. Das Thema Wohnungsnot in Deutschland beschäftigte ihn nachhaltig. Seine Lösung: Die Weiterentwicklung der Bauwirtschaft vom Handwerk zur Industrie. In der Nachkriegszeit, als möglichst schnell möglichst viele Häuser aufgebaut werden mussten, konnte Paulick seinen Traum durch die „Platte“ verwirklichen.

Bild: „Hoyerswerda, Wohnungsbau, Hochhäuser“ von Deutsches Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Seine Methode, vorgefertigte Betonteile zu montieren, ermöglichte es, Großsiedlungen für 70.000 bis 100.000 Menschen in relativ kurzer Zeit hochzuziehen. In den 60er Jahren kamen Menschen aus Frankreich, Italien, Finnland oder Mexiko, um zu beobachten, wie der Aufbau solcher Großsiedlungen funktioniert. Um seine Bauten optisch ansprechender zu gestalten, arbeitete Paulick oft mit vertikalen Akzenten und Ornamenten an der Fassade. Von den knapp 4 Millionen der neugebauten Wohnungen der DDR sind 90 % aus Betonfertigteilen entstanden. Bis heute haben mehr als die Hälfte der Menschen in den neuen Bundesländern in einem solchen Plattenbau gelebt. Darunter auch Paulick selbst: Er richtete sich ein Penthouse im Wohnheimblock C auf der heutigen Karl-Marx-Allee ein.

Mehr Informationen zu Paulick gibt es in dem Buch „Bauhaus – Shanghai – Stalinallee – Ha-Neu: Der Lebensweg des Architekten Richard Paulick 1903–1979“ von Thomas Flier.

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Kengo Kuma – Olympiastadion zwischen Pagode und Solartechnik

Teil 20 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Kengo Kuma
(*1954 in Yokohama, Japan)
Japanischer Architekt

Kengo Kuma hat das neue Nationalstadion in Tokio bewusst im Kontrast zu den berühmten Bauten für die Olympischen Spiele in Tokio im Jahr 1964 entworfen: „Kenzo Tange und seine nationale Sporthalle ,Yoyogi‘ sind ein Symbol oder ein Produkt einer Zeit der Expansion und des starken Wirtschaftswachstums, was sich in ihrem hohen, harten und maskulinen Design widerspiegelt. Was das Japanische Nationalstadion betrifft, so wollte ich unsere eigene Zeit widerspiegeln. Das starke Wachstum ist nun vorbei, die Bevölkerung schrumpft und altert, und die Menschen auf der ganzen Welt achten mehr denn je darauf, die Umwelt zu erhalten und zu pflegen. Ich tendiere in gewisser Weise zu einem sanfteren oder feminineren Design, und das neue Stadion steht für diesen Trend.“

Kuma erwarb seinen Master-Abschluss in Architektur an der Universität Tokio in 1979, wo er heute auch als Universitätsprofessor tätig ist. Kenzo Tanges Sporthalle ,Yoyogi‘, die für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio gebaut wurde, hat für Kengo Kuma eine ganz besondere Bedeutung: Sie inspirierte ihn schon in jungen Jahren, sich der Architektur zu widmen. Er nahm später am Architekturprogramm der Universität Tokio teil, wo er bei Hiroshi Hara und Yoshichika Uchida studierte. Während seines Studiums unternahm er Forschungsreisen, beispielsweise durch die Sahara, wo er Dörfer und Siedlungen erkundete. Es folgte eine Zeit als Gastforscher an der Columbia University in New York (1985-86). Danach eröffnete er 1987 sein Büro „Spatial Design Studio“ (heute „Kengo Kuma & Associates“) in Tokio, 2008 folgte sein Pariser Büro.

Seitdem hat Kengo Kuma & Associates Gebäude in mehr als zwanzig Ländern entworfen und dafür einige renommierte Auszeichnungen erhalten, darunter den Architectural Institute of Japan Award, den Spirit of Nature Wood Architecture Award (Finnland), den International Stone Architecture Award (Italien) und den Global Award for Sustainable Architecture. Kengo Kumas Anspruch ist es, Gebäude zu entwerfen, die auf natürliche Weise mit ihrer kulturellen und ökologischen Umgebung verschmelzen. Dafür ist er ständig auf der Suche nach neuen Materialien, um Beton und Stahl zu ersetzen. Sein Ziel ist es, einen neuen Ansatz für die Architektur in einer postindustriellen Gesellschaft zu finden.

Japans neues Olympiastadion

Bild: „Olympiastadion“ von RuinDig. Lizenz: CC BY 4.0

Eines seiner jüngsten Werke ist der Neubau des Nationalstadions in Tokio, das auf dem Grund des alten Nationalstadions von 1958 errichtet wurde. Kuma gewann den Wettbewerb um den Neubau des Olympiastadions mit einem Entwurf, der konventionell, baubar und behaglich ist. Für das Stadion, das aktuell für die Olympischen Spiele 2021 genutzt wird und Platz für rund 60 000 Zuschauer bietet, hat Kuma in Anlehnung an traditionelle japanische Bauweisen viele Holzelemente eingesetzt.

Das Stadion hat insgesamt drei Ränge und das beeindruckende Stabwerk im Dach soll an die Pagode Gojunoto bei Nara erinnern. Der Bau ist ein Hybrid aus traditionellen Holzbauten und Stahl. Zum Schutz der Besucher vor der Sonne hat Kuma Grünpflanzen in Trögen angebracht und der Dachrand sammelt die Sonnenenergie in Solarpaneelen. Die Sitzplätze sind in fünf erdigen Farbtönen gestaltet und bilden ein Mosaik, das an einen von Sonnenstrahlen durchfluteten Wald erinnern soll. Auch im Inneren des Stadions finden sich viele traditionelle Elemente: So illuminieren beispielsweise japanische Laternen das Stadion und in den Gesellschaftsräumen scheint Tageslicht durch Shoji-Wände.

Lichtspiel und Transparenz

Bild: „Asakusa Culture Tourism Centre“ von Kakidai. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Auch bei seinen anderen Bauten ist Kuma bekannt für die Verwendung von Holz und die Integration traditioneller Handwerkskunst der Holzbearbeitung, Zimmerei und Schreinerei. Diese kombiniert er mit modernen Materialien wie Stahl oder Karbonfaser, um die Langlebigkeit, aber auch die Sicherheit bei Erdbeben zu erhöhen. Generell entscheidet sich Kuma nie zu Beginn eines Projektes für ein Material, sondern studiert den Ort so sorgfältig wie möglich. Er will dabei herausfinden, welche Materialien am besten geeignet sind, um das Gleichgewicht des Ortes zu erhalten. Damit wendet er sich gegen die großen, kastenförmigen Gebäude aus Beton, die einen Großteil der Architektur in den Städten des späten 20. Jahrhunderts ausmachen. Zu den von Kuma bevorzugten und häufig verwendeten „alternativen“ Werkstoffen gehören neben Holz auch Stein, Keramik, Bambus, Kunststoff und Vinyl.

Bild: „Hongkou SOHO“ von AsAuSo. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Lichtführung ist für seine Konstruktionen ebenfalls von grundlegender Bedeutung, mit der er ein Gefühl der „räumlichen Immaterialität“ zu erreichen versucht. Kuma sagt über seinen Schaffensprozess: „Man könnte sagen, dass es mein Ziel ist, den Ort ,zurückzugewinnen‘. Der Ort ist das Ergebnis von Natur und Zeit; das ist der wichtigste Aspekt. Ich denke, meine Architektur ist eine Art Rahmen für die Natur. Durch sie können wir die Natur tiefer und intimer erleben. Transparenz ist ein Merkmal der japanischen Architektur. Ich versuche, Licht und natürliche Materialien zu nutzen, um eine neue Art von Transparenz zu erreichen.“

Beispielhaft dafür sind etwa das Plastic House (2002) und das Asakusa Culture Tourist Information Center (2012) in Tokio oder das Fonds Régional D’art Contemporain (FRAC) in Marseille (2012). Letzteres zeichnet sich durch eine Fassade aus, die mit halbtransparenten Glasscheiben verkleidet ist. Bekannt sind auch Kumas ausdrucksstarken „dekorierten“ Fassaden, wie beim Komplex Wuxi Vanke (2014) und dem Wolkenkratzer Hongkou Soho in Shanghai (2015). Eines der Gebäude, das bis heute seine architektonische Vision besonders eindrucksvoll repräsentiert, ist das Water/Glass House in Atami in Japan (1995), ein Gästehaus, das quasi auf dem Meer erbaut wurde.

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