Richard Paulick – Vater der Platte

Teil 21 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Richard Paulick
(*1903 in Roßlau (Elbe)
†1979 in Ost-Berlin)
Deutscher Architekt

Richard Paulick gilt als Vater der Platte. Im Bauhaus wurde er einst zur rechten Hand von Walter Gropius, später führte er als Chefarchitekt in der DDR das industrielle Bauen ein. Jetzt wurde Paulicks spannendes Leben und Wirken wiederentdeckt und in einem Buch festgehalten.

Nach seinem Architekturstudium in Dresden und während seines Studiums in Berlin arbeitete Paulick im Bauhaus Dessau. Es gelang ihm, im Baubüro von Walter Gropius eine Anstellung als freier Mitarbeiter zu bekommen. In dieser Zeit schloss er enge Beziehungen zu den Bauhaus-Meistern Georg Muche und Marcel Breuer. Gemeinsam mit Gropius arbeitete Paulick am Dessauer Arbeitsamt und an den Dessau-Törten. Nachdem Gropius das Bauhaus und Dessau 1928 verließ, fungierte Paulick erst als sein Büroleiter vor Ort und folgte Gropius schließlich 1929 nach Berlin. Im Sommer 1930 eröffnete er dort sein eigenes Architekturbüro. Paulick war auch politisch sehr engagiert und zeitweise sogar SAP-Funktionär. Durch seine Zugehörigkeit zu der linkssozialistischen Partei sah er sich 1933 gezwungen zu emigrieren.

Im Sommer 1933 erreichte Paulick nach seiner Flucht aus Berlin den Hafen in Schanghai Hongkou, der während des Zweiten Weltkriegs für viele Flüchtlinge einer der letzten Fluchtwege war, da er ihnen ohne Visum Zuflucht gewährte. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Schanghai zum Finanzzentrum Chinas und des Fernen Ostens geworden. Dank der florierenden Wirtschaft fand Paulick schnell Arbeit in der Innenarchitekturfirma The Modern Home. Nach der Schließung von The Modern Home gründeten Paulick, sein Bruder Rudolf und Architekt Hans Werther 1937 ihr eigenes Unternehmen: Modern Homes. Gemeinsam mit seinem Bruder gründete Paulick später weitere Firmen in China: The Studio (1942), Paulick & Paulick Architects and Engineers (1943) und Modern Textiles (1948). Zusätzlich war Paulick als Professor und Leiter des Stadtplanungsamtes tätig und ab 1946 oberster Bauberater der Allchinesischen Eisenbahn. Während der Kriegsjahre hatte der Architekt die Gelegenheit, sich in einer Vielzahl von Disziplinen zu üben. So setzte er Konzepte der modernistischen Bewegung um, die die Zukunft Schanghais tiefgreifend prägten. Paulick beeinflusste sowohl die akademischen als auch die beruflichen Kreise, in denen er sich bewegte, nachhaltig.

Bild: „Paulick-Kandelaber“ von Gryffindor. Public Domain.

Nach seiner Rückkehr aus China im Jahr 1949 ließ Paulick sich in der DDR nieder. Dort war er maßgeblich am Wiederaufbau des historischen Berlins und Dresdens beteiligt. Für die Beleuchtung der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) entwarf er die markanten zwei- und vierarmigen „Paulick-Kandelaber“, von denen insgesamt 215 gebaut wurden.

Optisches Vorbild für die Kandelaber waren Albert Speers OWA-Kandelaber an der damaligen Ost-West-Achse in West-Berlin. Weitere Bekanntheit erlangte Paulick durch seine Entwürfe zum Wiederaufbau der Deutschen Staatsoper (1951–1955). Auch seine Tätigkeit als Chefarchitekt der „sozialistischen Städte“ Hoyerswerda (1958–1960), Schwedt an der Oder (1962–1965) und Halle-Neustadt (1963–1968) war von nachhaltiger Wirkung. Für seine Leistungen als Architekt und Städteplaner wurde er mit mehreren Preisen gewürdigt: dem Goethepreis der Stadt Berlin (1951), dem Nationalpreis I. Klasse (1952) und dem Nationalpreis für den Aufbau der Deutschen Staatsoper Berlin (1956).

Das „Metall-Typenhaus“

Gemeinsam mit Georg Muche entwickelte Paulick während seiner Zeit im Bauhaus das sogenannte „Metall-Typenhaus“: ein Haus mit ausbaufähigem Grundriss, das in kurzer Zeit errichtet werden konnte. Nach dem ersten Weltkrieg war kostensparendes und flexibles Bauen das Ziel vieler Architekten. In Zusammenarbeit mit Paulick errichtete Muche 1926/1927 ein entsprechendes Musterhaus in Dessau-Törten. Das Gebäude war ein Stahltafelbau:

Bild: „Stahlhaus Dessau 2“ von Thomas Guffler. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Auf eine Stahlskelett-Tragkonstruktion wurden 3 mm starke Stahltafeln als Außenwandplatten montiert. Es war nicht unterkellert. Muche und Paulick wollten mit dem Haus aus Metall eine Kongruenz aus industrieller Fertigung und Formensprache erschaffen.

Die Vorteile des Hauses wurden jedoch von einer Reihe von Mängeln überlagert, die sich aus dem Baustoff Metall ergaben. Allen voran die unzureichende Wärmeisolierung und Belüftung. Auch deshalb wurde es von der zeitgenössischen Kritik für unbewohnbar befunden. So blieb das Stahlhaus das einzige seiner Art in Dessau.

Vater der Platte

Schon als junger Mann träumte Paulick davon, Städte nach dem Baukastenprinzip zu bauen, die trotzdem lebendig sind. Bereits in jungen Jahren produzierte er Aufklärungsfilme über das Neue Bauen. Das Thema Wohnungsnot in Deutschland beschäftigte ihn nachhaltig. Seine Lösung: Die Weiterentwicklung der Bauwirtschaft vom Handwerk zur Industrie. In der Nachkriegszeit, als möglichst schnell möglichst viele Häuser aufgebaut werden mussten, konnte Paulick seinen Traum durch die „Platte“ verwirklichen.

Bild: „Hoyerswerda, Wohnungsbau, Hochhäuser“ von Deutsches Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Seine Methode, vorgefertigte Betonteile zu montieren, ermöglichte es, Großsiedlungen für 70.000 bis 100.000 Menschen in relativ kurzer Zeit hochzuziehen. In den 60er Jahren kamen Menschen aus Frankreich, Italien, Finnland oder Mexiko, um zu beobachten, wie der Aufbau solcher Großsiedlungen funktioniert. Um seine Bauten optisch ansprechender zu gestalten, arbeitete Paulick oft mit vertikalen Akzenten und Ornamenten an der Fassade. Von den knapp 4 Millionen der neugebauten Wohnungen der DDR sind 90 % aus Betonfertigteilen entstanden. Bis heute haben mehr als die Hälfte der Menschen in den neuen Bundesländern in einem solchen Plattenbau gelebt. Darunter auch Paulick selbst: Er richtete sich ein Penthouse im Wohnheimblock C auf der heutigen Karl-Marx-Allee ein.

Mehr Informationen zu Paulick gibt es in dem Buch „Bauhaus – Shanghai – Stalinallee – Ha-Neu: Der Lebensweg des Architekten Richard Paulick 1903–1979“ von Thomas Flier.

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