Diébédo Francis Kéré – futuristischer Traditionalist

Teil 24 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Francis Kéré
*1965 in Gando, Burkina Faso
burkinischer Architekt

Der burkinische Architekt Diébédo Francis Kéré ist der Gewinner des Pritzker-Preises 2022. Kérés Architektur steht für soziale Gerechtigkeit, soziales Engagement und die intelligente Verwendung lokaler Materialien. Kéré verbindet technisches Wissen und ein tiefes Umweltverständnis mit kultureller Sensibilität, Engagement und Hingabe. Der in Berlin lebende Architekt, Pädagoge und soziale Aktivist baut zeitgemäße Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Wohnungen, öffentliche Gebäude und öffentliche Räume. Und dies oft in Ländern, in denen die Ressourcen knapp sind und die Gemeinschaft lebensnotwendig ist.

Pritzker kommentiert seine Entscheidung für den Preisträger Kéré wie folgt: „Er leistet Pionierarbeit im Bereich der Architektur – nachhaltig für die Erde und ihre Bewohner – in Ländern mit extremer Knappheit. Er ist gleichermaßen Architekt und Diener und verbessert das Leben und die Erfahrungen unzähliger Bürger in einer Region der Welt, die manchmal vergessen wird. Durch Gebäude, die Schönheit, Bescheidenheit, Kühnheit und Erfindungsreichtum demonstrieren, und durch die Integrität seiner Architektur und seiner Geste, hält Kéré die Mission dieses Preises anmutig aufrecht.“ Kéré selbst sagt über seine Architektur: „Ich hoffe, einen Paradigmenwechsel herbeiführen zu können, die Menschen zum Träumen und zum Risiko zu bewegen. Nur weil man reich ist, sollte man kein Material verschwenden. Nicht weil man arm ist, sollte man nicht versuchen, Qualität zu schaffen. Jeder verdient Qualität, jeder verdient Luxus, und jeder verdient Komfort. Wir sind miteinander verbunden, und die Sorgen um Klima, Demokratie und Ressourcenknappheit gehen uns alle an.“

In der Heimat verwurzelt …

Geboren wurde Diébédo Francis Kéré 1965 in Burkina Faso – einem der am wenigsten entwickelten Länder Afrikas. In seinem Heimatdorf Gando gab es weder Strom noch fließendes Wasser und keinen Zugang zu Bildung oder einer adäquaten Gesundheitsversorgung. Kéré war der älteste Sohn des Dorfoberhaupts und der erste in seiner Gemeinde, der eine Schule besuchte. Mit sieben Jahren musste er dafür nach Tenkodogo umziehen. Sein Klassenzimmer teilte er mit mehr als hundert anderen Kindern. Der Raum bestand aus bloßen Zementblöcken und verfügte weder über Belüftung noch über Licht. In diesem extremen Klima reifte sein Wunsch etwas Besseres zu erschaffen. 1985 führte ein Stipendium Kéré nach Deutschland, wo er nach seinem erfolgreichen Studium der Architektur in Berlin 2005 sein dortiges Büro Kéré Architecture gründete. Trotz seines internationalen Erfolgs hat der Burkinabe sein Versprechen, bessere Schulgebäude für seine Heimat zu entwickeln, nie vergessen.

Bild: “Grando Primary School” von Erik-Jan Owerkerk. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

Herzensprojekt: Gando Primary School

2001 setzte Kéré sein Versprechen schließlich mit der Gründung der Stiftung „Schulbausteine für Gando e.V.“ (heute Kéré Foundation e.V.) in die Tat um und entwarf eine Grundschule für seine Heimatgemeinde. Ein Herzensprojekt, mit dem Kéré das grundlegende Bedürfnis nach Bildung in seiner Heimat erfüllen und soziale Ungerechtigkeiten beseitigen wollte. Sein Entwurf erforderte ein zeitgemäßes Design, das mit begrenzten Mitteln den Herausforderungen von extremer Hitze und schlechten Lichtverhältnissen begegnet. Zudem musste Kéré die Unsicherheit seiner Gemeinde dem Projekt gegenüber überwinden. Er sammelte international Spenden und schuf gleichzeitig Ausbildungs- und Arbeitsstellen für die Bürger vor Ort. Diese stellten von der Konzeption bis zur Vollendung fast alle Bauteile der Schule in Handarbeit her. Einheimischer Lehm wurde mit Zement angereichert, um Ziegelsteine mit bioklimatischer thermischer Masse zu bilden. Sie halten die kühlere Luft im Inneren zurück, während die Wärme durch eine Ziegeldecke und ein breites, überhängendes, erhöhtes Dach entweichen kann. Dies ermöglicht eine Belüftung ohne den Einsatz von Klimaanlagen. Der Bau der „Gando Primary School“ führte zu einem Anstieg der Schülerzahlen von 120 auf 700 und gab den Impuls zum Bau von Lehrerwohnungen (2004), eines Erweiterungsbaus (2008) und einer Bibliothek (2019). Für das Projekt gewann Kéré 2004 den Aga Khan Award for Architecture: der Beginn seiner internationalen Karriere.

Aus der Gemeinschaft für die Gemeinschaft

Bild: “Burkina Insitute of Technology” von Francis Kéré. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

Die Grundschule in Gando war nur der erste Schritt für Kéré auf seinem Weg zur Verbesserung der Gemeinschaften und der Beseitigungsozialer Ungerechtigkeiten. Es folgten weitere Grund- und Sekundarschulen, Hochschulen und medizinische Einrichtungen in Burkina Faso, Kenia, Mosambik und Uganda. Für seine Entwürfe verbindet Kéré stets lokale Materialien mit technologisch modernen Bautechniken. So entstehen Gebäude, die sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig sind und eine besondere Sensibilität für ihre bioklimatische Umgebung aufweisen. Der Startup Lions Campus (2021, Turkana, Kenia), ein Campus für Informations- und Kommunikationstechnologien, beispielsweise verwendet örtliche Bruchsteine und gestapelte Türme zur passiven Kühlung, um den Einsatz der zum Schutz der technischen Geräte erforderlichen Klimaanlage zu minimieren. Das Burkina Institute of Technology (Phase I, 2020, Koudougou, Burkina Faso) wiederum besteht aus kühlenden Lehmwänden, die in-situ gegossen wurden, um den Bauprozess zu beschleunigen. Eukalyptusbäume auf den abgewinkelten Wellblechdächern schützen das Gebäude während der kurzen Regenzeit im Land. Zusätzlich wird das Regenwasser unterirdisch gesammelt, um die Mango-Plantagen auf dem Gelände zu bewässern.

Das „Operndorf Afrika“

Neben Schulgebäuden in afrikanischen Ländern hat Kéré auch temporäre und permanente Strukturen in Dänemark, Deutschland, Italien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten erschaffen. Zu seinen aktuellen Projekten zählen die Nationalversammlung von Burkina Faso (Ouagadougou, Burkina Faso), die Nationalversammlung von Benin (Porto-Novo, Republik Benin) und das bereits teilweise realisierte „Operndorf Afrika“. Bei diesem Projekt handelt es sich um einen interkulturellen Ort, der 30 Kilometer nordöstlich der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou entsteht. Schirmherr ist der Bundespräsident a. D. der Bundesrepublik Deutschland Horst Köhler. Initiiert wurde das Projekt 2010 von dem Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der es trotz schwerer Krebserkrankung bis zum Schluss vorangetrieben hat. Herzstück des Projekts ist das Festspielhaus im Zentrum des Areals, das von Künstlerateliers, einem Gesundheitszentrum und einer Schule umgeben sein wird. Die Schule nahm bereits 2011 ihren Betrieb auf. Hier werden rund 300 Kinder unterrichtet, in Klassen von jeweils 50 Kindern. Eine deutliche Verbesserung also zu den Bedingungen während Kérés eigener Schulzeit und damit ein weiterer Meilenstein seiner sozial engagierten Architektur.

 

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