“Die Möglichkeiten des Bestehenden erkennen”

Teil 19 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Anne Lacaton
(*1955 in Saint-Pardoux, Frankreich)
Französische Architektin und Hochschullehrerin

Jean-Philippe Vassal
(*1954 in Casablanca, Marokko)
Französischer Architekt und Hochschullehrer

Bild: „Tour Bois le Prêtre“ von Frédéric Druot. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

Das französische Architekten-Duo Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal hat den Pritzker-Preis 2021 gewonnen. „Indem sie die Verbesserung des menschlichen Lebens durch eine Perspektive der Großzügigkeit und Benutzungsfreiheit priorisieren, sind sie in der Lage, dem Individuum sozial, ökologisch und wirtschaftlich zu nützen, und der Entwicklung einer Stadt zu helfen“, heißt es in der Begründung der Jury.

Anne Lacaton (*1955 im französischen Saint-Pardoux) und Jean-Philippe Vassal (*1954 im marokkanischen Casablanca) lernten sich in den 70er Jahren während des Architekturstudiums in Bordeaux kennen und gründeten Anfang der 80er Jahre ein gemeinsames Architekturbüro in Paris. Über die Jahre waren beide Architekten als Gastprofessoren an diversen Universitäten in Europa und den USA tätig. Lacaton ist seit 2017 fest angestellte Professorin an der ETH Zürich und Vassal seit 2012 an der UDK Berlin. Für ihre Projekte im Bereich bezahlbarer Wohnraum gewannen sie 2021 nun den renommierten Pritzker-Preis.

Abriss ist oft Verschwendung

Was die Arbeitsweise der französischen Architekten besonders macht, ist ihr Grundsatz, nichts abzureißen. „Es gibt zu viele Abrisse von existierenden Gebäuden, die nicht alt sind, noch ein Leben vor sich haben und noch nicht ausrangiert werden müssen“, sagt Lacaton der New York Times. „Wir glauben, dass das eine zu große Verschwendung von Materialien ist. Wenn wir genau hinschauen, wenn wir die Dinge mit frischem Blick sehen, gibt es immer etwas Positives, das man aus einer bestehenden Situation mitnehmen kann.“

Deshalb ist ihr Spezialgebiet, bereits bestehende Gebäude einer neuen Funktion zuzuführen. Gleichzeitig streben sie danach, die Erinnerung an die ursprüngliche Substanz zu bewahren. Dieser Grundsatz macht ihre Projekte nicht nur günstiger, sondern auch umweltfreundlicher. Sie achten auch stets darauf, genug Freiräume zu lassen, um der Kreativität der Bewohner Luft zu lassen.

Gelungene Transformationen

Gemeinsam haben die beiden Architekten an mehr als 30 Projekten in Europa und Afrika gearbeitet. Zu einigen ihrer bekanntesten Werke gehören

Bild: „Schule der Architektur in Nantes, Frankreich“ von Philippe Ruault. Lizenz: The Pritzker Architecture Price

die 2009 gebaute Schule der Architektur in Nantes, Frankreich; deren offene, flexible Struktur bietet eine große Wandlungsfähigkeit und eröffnet vielfältige Möglichkeiten für zukünftiges Wachstum. Ein weiteres Beispiel ihrer Arbeit ist der Umbau des 17-stöckigen Pariser Wohnhauses „Tour Bois le Prêtre” aus den 1960ern. Durch eine radikale Öffnung der Fassade und die Erweiterung des Wohnraums durch umlaufende Balkone konnten Lacaton und Vassal zusammen mit Frédéric Druot den Wohnturm 2011 vor dem Abriss bewahren. Bereits 2010 wurde das Projekt im Museum of Modern Arts in New York ausgestellt. Ein weiteres Highlight ist der Aus- und Umbau des Ausstellungsgebäudes „Palais de Tokyo“ in Paris im Jahr 2012. Die Überreste des Gebäudes, welches 1937 die Weltausstellung beherbergte, bilden den Grundstein für das renommierte Museum für zeitgenössische Kunst.  In einem weiteren vielbeachteten Projekt transformierten die Architekten 2017 etwa 530 Sozialwohnungen in Grand Parc, Bordeaux, ohne dass die Anwohner ihr Zuhause verlassen mussten. Für diese architektonische Meisterleistung erhielten Lacaton & Vassal 2019 den angesehenen Mies van der Rohe Award.

Bild: „Palais de Tokyo @ Paris“ von Guilhem Vellut. Lizenz: CC BY 2.0

Die bodenständige und menschenorientierte Perspektive des Duos regt zum Nachdenken an und verdient öffentliche Aufmerksamkeit in einer Zeit, in der zumeist spektakuläre Neubauten im Fokus stehen. „Wir sehen das Vorhandene nie als Problem. Wir schauen mit positiven Augen, weil es eine Möglichkeit gibt, mehr aus dem zu machen, was wir bereits haben. Wir sind an Orte gegangen, an denen Gebäude abgerissen worden wären, und haben Menschen getroffen, Familien, die an ihrem Wohnraum hängen, auch wenn die Situation nicht die beste ist. Meistens waren sie gegen den Abriss, weil sie in ihrer Nachbarschaft bleiben wollten. Es ist eine Frage der Sensibilität“, meint Vassal.

hg

Weitere Infos: https://www.pritzkerprize.com/laureates/anne-lacaton-and-jean-philippe-vassal

Dancing in the streets …

Teil 18 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Frank Owen Gehry (geboren Frank Owen Goldberg)
*28. Februar 1929 in Toronto, Kanada
Kanadisch-US-amerikanischer Architekt und Designer

Frank Gehry wird im Februar 92 Jahre alt – und lässt noch immer die Gebäude „tanzen“

Seine Gebäude fallen auch architektonischen Laien auf und hinterlassen nachhaltigen Eindruck: die dekonstruktivistischen Kreationen des kanadisch-amerikanische Architekten Frank Gehry. Man erzählt, dass er schon als Kind gern mit seiner Großmutter an seinen ersten Häusern und Städten gebastelt habe – aus Holzresten des großväterlichen Eisen- und Haushaltswarenladens. Er blieb seiner frühen Neigung offenbar treu und studierte an der University of Southern California Architektur und anschließend Stadtplanung an der Harvard Graduate School of Design. 1962 gründete Gehry mit 33 Jahren sein Architekturbüro Gehry Partners, LLP, welches er bis heute leitet.

Dekonstruierte Designs aus einfachen Materialien

Bild: „Case danzanti“ (Tanzendes Haus in Prag) von Dino Quinzani. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Vielleicht inspiriert von der Erinnerung an seine kindlichen Bauten, wendet sich Gehry in den 70er Jahren von konventionellen Plänen und Materialien ab und einfacheren und „ärmlicheren“ Materialien wie Wellblech, Maschendraht oder Sperrholz sowie anderen alltäglichen Gegenständen zu. Daraus lässt er Kreationen entstehen, die sich durch gebrochene Geometrie, kippende Räume, kurzum durch eine dekonstruktivistische Formensprache auszeichnen. Seine Werke bewegen sich an der Grenze zwischen Kunst und Architektur, zwischen Gebäude und Skulptur. Für diesen ungebrochenen Willen zu experimentieren und festen Kategorien zu trotzen erhielt er 1989 den Pritzker-Preis.

Seine Entwürfe, so sagt man, „denkt er mit den Händen – indem er Papier oder Papier zerknüllt, zerreißt und wieder zusammenfügt. Um aus diesen komplexen geometrischen Figuren stabile Gebäude entstehen zu lassen, wird eine aus der Luft- und Raumfahrtindustrie stammende 3-D-Software eingesetzt. Sie ermöglichte auch die goldene Fischskulptur, die für das Olympische Dorf 1992 geschaffen wurde und eine der Attraktionen Barcelonas bleibt. Die ineinandergreifenden, vergoldeten Edelstahlbänder werden von einer Metallstruktur getragen. Je nach Sonnenstand und Wetterbedingungen wechselt der Fisch seine Farbe.

Bild: „Guggenheim Bilbao“ von Michael Reeve. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der Bilbao-Effekt

Fest mit dem Namen Gehry verbunden ist der Bilbao-Effekt, der sich erstmals im Zusammenhang mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao zeigte. Gehry stellte dieses ausgewöhnliche Bauwerk 1997 fertig, das eine geradezu magische Anziehungskraft entwickelte: Es hatte einen messbaren revitalisierenden Effekt auf die Wirtschaft und Kultur der Stadt und bewirkte, dass Bilbao sich von einer Industriestadt zu einer modernen Kulturstadt entwickelte. Diesen Einfluss, den architektonische Kunstwerke auf den Wert und die Wahrnehmung einer ganzen Stadt haben können, wird inzwischen als Bilbao-Effekt bezeichnet. In den folgenden Jahren haben einige Städte versucht, diesen Effekt zu wiederholen. Als Voraussetzungen dafür gelten zentrale Lage, die Nähe zu Gewässern sowie eine innovative, provokativ-spektakuläre Architektur.
Gehry selbst gelang es noch an anderen Orten, solche Leuchtturm-Gebäude zu erschaffen. Zum Beispiel mit der Walt-Disney-Konzerthalle in Los Angeles oder dem kontroversen Museum der Popkultur in Seattle. Noch im Bau befindet sich das Guggenheim in Abu Dhabi.
Sein erster Bau in Europa war übrigens das Vitra Designmuseum in Weil am Rhein mit seiner skulpturalen Hülle aus weißem Putz und Titanzink.

Design als Lebensform
Neben der Architektur ist Gehry auch in anderen gestalterischen Bereichen aktiv. Er hat unter anderem eine Kartonmöbelserie namens „Easy

Bild: „Barcelona Frank Gehrys Peix“ von Iswal. Lizenz: CC BY-SA 3.0 AT

Edges“ und Bugholzmöbel entworfen. Seine Schmuckserie für Tiffany & Co. ist stark von der Fischform inspiriert, die an den olympischen Pavillon in Barcelona erinnert. Zwischen 1984 und 1986 entwickelte er die ersten Fischlampen mit Drahtarmaturen, ebenfalls in Fischform. Zudem hat Gehry auch mehrere Bühnenbilder für Opern und Orchester entworfen.
Keine Frage: Auch sein eigenes Wohnhaus hat er nach seinen Vorstellungen gestaltet und erhielt dafür 1980 einen Preis des American Institute of Architects.

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Die Bürowelt in Corona-Zeiten

„Corona-Pandemie dämpft die Umsätze am Büromarkt“ titelt die ImmobilienZeitung letzte Woche – und die Meldungen über sinkende Umsatzzahlen in den Büromärkten überschlagen sich: 45 Prozent Rückgang in Berlin, 62 Prozent in Stuttgart, über 50 Prozent in Frankfurt … Hauptursache: die Corona-Epidemie mit dem daraus resultierenden Trend zum mobilen Arbeiten. Wie geht es in Zukunft weiter? Wird das Virus dafür sorgen, dass der Bedarf an Büroflächen weiter zurückgeht – oder wird sich eher die Funktion der Büroräumlichkeiten ändern und neuen Anforderungen stellen müssen?

Unübersehbare Fakten
Die aktuellen Zahlen zur Entwicklung des Bürovermietungsmarktes und der Leerstandsquoten überraschen kaum: Der jüngste Büromarktüberblick von JLL konstatiert, dass im ersten Halbjahr 2020 die Bürovermietung in den Big 7 (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Stuttgart) gegenüber dem Vorjahresvolumen um über 36 Prozent zurückgegangen ist. Das Fazit lautet dort: „So lange kein Impfstoff verfügbar ist, werden wir uns an ein fragiles und volatiles Marktumfeld gewöhnen müssen.“

Überdies werden laut einer Studie von bulwiengesa mehr als 1,5 Millionen Quadratmeter Büromietfläche in den deutschen A-Städten später als geplant oder gar nicht gebaut und auf den Markt gebracht werden.

Die Leerstandsquoten sind bisher allerdings nur sehr moderat angestiegen – man rechnet mit circa 3,6 Prozent zum Ende des Jahres in den Big 7.

Ein Thema, mit dem sich viele Unternehmen in der aktuellen Lage beschäftigen, ist die Untervermietung von Räumen. Insbesondere wachstumsorientierte Unternehmen, die vor der Krise größere Flächen über ihren Bedarf hinaus gemietet haben, sehen Handlungsbedarf. Unterstützung bieten in dieser Situation einige Untervermietungsplattformen für Büroflächen, wie ShareDNC, ShareYourSpace, Setting, Localstoring oder Shquared. „Eine Airbnb-Welt für Gewerbe entsteht“, wie es die ImmobilienZeitung auf den Punkt bringt. Unternehmen können ihre ungenutzten Flächen darüber untervermieten, nicht nur komplette Stockwerke oder Büros, sondern ebenso einzelne Arbeitsplätze oder Konferenzräume, auch für sehr kurze Mietzeiten. Das schafft Flexibilität, da die Zukunft zunächst ungewiss ist: Wie wird sich das Verhältnis zur Arbeit im Firmenbüro entwickeln?

Katalysator für neue Bürokonzepte
Dass die Coronakrise ein starker Katalysator für alle Formen des Remote-Arbeitens ist, lässt sich nicht leugnen. Selbst hartnäckigen Homeoffice-Gegnern in den Chefetagen ist bewusst, dass auch nach der Erfindung eines Impfstoffs die Arbeitswelt nicht mehr so sein wird wie zuvor. Aber wie wird sie aussehen?

„Das Büro der Zukunft ist individuell, flexibel und ortsungebunden.“ Das ergab unter anderem eine breitangelegte unternehmensinterne Umfrage der Drees & Sommer-Gruppe, an der im Juli 2020 rund 1500 von 4000 Mitarbeitern teilgenommen haben. Rund 83 Prozent können sich inzwischen gut vorstellen, ein bis drei Tage pro Woche mobil oder von zu Hause aus zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund muss die Funktion des Arbeitsplatzes in den Firmenräumen neu überdacht werden. „Das Büro der Zukunft muss all das bieten, was das Homeoffice nicht oder nicht immer leisten kann: Konzentration, Kommunikation und Kooperation“, lautet die Konsequenz, kurzum: Es sollte ein Ort mit hoher Erlebnis- und Aufenthaltsqualität sein. Dies kann letztendlich sogar dazu führen, dass der Bedarf an Büroflächen wieder steigt. Eventuell befördert auch durch das Konzept von kleineren, zusätzlichen Co-Working-Spaces, in der sich Mitarbeiter aus der näheren Wohnumgebung zusammenfinden können.

Die Bürowelt der Zukunft
Es gibt inzwischen zahlreiche Ideen und Konzepte, wie die perfekte neue Arbeitswelt aussehen könnte: ein individueller Mix aus Office und Remote Working, intelligente Sharing-Konzepte, multifunktionale Raumlösungen und Gemeinschaftsräume, die Kommunikation und psychisches Wohlbefinden fördern. Aber es sind nicht die Räume allein, die sich ändern müssen. „Raumentwicklung und aktive Kulturentwicklung müssen gleichzeitig stattfinden. Die modernste Arbeitsumgebung nützt nichts, wenn sie die Unternehmenskultur nicht unterstützt. Das ist eine Erkenntnis aus den Evaluationen, die wir kürzlich durchgeführt haben“, meint Andreas Schubert, Geschäftsführer des international tätigen Forschungs- und Beratungsinstituts Great Place to Work. Ein Ergebnis, zu dem bereits 2019 auch die Studie „Transformation von Arbeitswelten“ des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO kommt: Sie unterstreicht, dass eine transformationale Führung ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für Veränderungen der Arbeitswelt im Unternehmen ist.

Man kann also davon ausgehen, dass Büroräume ihre kulturprägende, verbindende Funktion behalten werden und primär zu Orten der Kommunikation, der gemeinsamen Kreativität und der Konzentration werden. Vor dem Hintergrund der Möglichkeit zum mobilen Arbeiten gewinnt das Büroumfeld vielleicht sogar eine höhere Wertschätzung – wird von der Arbeitswelt zur Lebenswelt. Allerdings enthält der Weg in die neue Arbeitswelt noch einige Herausforderungen, gerade in den Bereichen Selbstverantwortung und Vertrauenskultur, die nicht auf architektonischer Ebene zu lösen sind.

Das unzertrennliche Schweizer Duo

Teil 17 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Jacques Herzog & Pierre de Meuron
*9. April 1950 und 8. Mai 1950, beide in Basel, Schweiz

Nicht erst bei der Gründung des heute international bekannten Architekturbüros „Herzog & de Meuron“ 1978 haben sie zusammengefunden: Jacques Herzog und Pierre de Meuron kennen sich bereits seit der Primarschule und studierten auch gemeinsam an der ETH Zürich Architektur. Dort lehren sie seit 1999 auch gemeinsam, ebenso wie an der Harvard University. Ihr Architekturbüro hat inzwischen über 400 Mitarbeiter und Niederlassungen in London, Hamburg, Madrid, New York und Hongkong und wurde 2001 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Von der Jury gelobt wurde der leidenschaftliche Umgang mit unterschiedlichsten Baumaterialien, durch die sie die Architekturkunst vorantreiben.

Kulturelle Leuchtturm-Projekte: Tate Modern London und Elbphilharmonie

Bild: Tate Gallery of Modern Art von Acabashi. Lizenz: CC-BY-SA 4.0

Die Auszeichnung kam kurz nach der Fertigstellung der Tate Gallery of Modern Art in London (2000), für deren Umbau Herzog & de Meuron verantwortlich zeichneten. Die besondere Herausforderung dabei war es gewesen, die Kunstgalerie in das Gebäude der alten Bankside Powerstation, ein ehemaliges Ölkraftwerk, zu integrieren. Die hohen Besucherzahlen einen Anbau erforderlich (2010 – 2016), den ebenfalls Herzog & de Meuron entwarfen. Das Untergeschoss des 60 Meter hohen Anbaus ist ebenfalls noch Teil des ehemaligen Kraftwerks, das die Tate Gallery ausmacht. Nach oben hin gestaltet sich der spektakuläre Neubau als in sich selbst gedrehte Pyramide aus Ziegelstein.

Bild: Hamburger Elbphilharmonie von Burkhard Mücke. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Von der besonderen Fähigkeit, faszinierende Einzelobjekte zu schaffen, zeugt auch die Elbphilharmonie in Hamburg, die 2017 nach über zwölf Jahren Bauzeit eröffnet wurde und inzwischen zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt avanciert ist. Oberhalb der mehrstöckigen Backsteinfassade des Kaispeicher A in der Elbe ist eine mächtige, 110 Meter hohe Glaswelle entstanden, die unter anderem drei Konzertsäle, ein Tagungszentrum, Wohnungen und ein Hotel beherbergt. Je nach Sicht des Betrachters wird sie mit der Form eines Segels oder eines Quarzkristalls verglichen. Die Fassade aus gebogenen Glaselementen verleiht dem Gebäude eine bewegte Transzendenz und unterstreicht den Ruf von Herzog & de Meuron als „Magier der Materialität“. Sie setzt sich aus insgesamt 2200 einzelnen Glaselementen zusammen, 595 davon sind individuell gekrümmt. Alle Scheiben verfügen über einen eingearbeiteten Licht- und Wärmeschutz durch aufgedruckte gerasterte Folien.

Innovativ und viel kopiert sind auch die Gabionen, mit Steinen gefüllte Drahtkörbe, die als gestalterisches Element die Außenfassaden der

Bild: „München – Allianz-Arena (Luftbild)“ von Maximilian Dörrbecker. Lizenz: CC BY-SA 2.5

Dominus Winery in Napa Valley zieren, die H&DeM 1998 fertigstellten. Je nach Dichte der Füllung lassen die Metallgitter-Strukturen mehr oder weniger Tageslicht in die Innenräume. Nebenbei sorgen sie für eine hervorragende Klimatisierung. Die beiden Architekten meinen dazu: „Die Wirkung ist eher die einer Haut, als die von traditionellem Mauerwerk.“

Basel, Bordeaux, Chelsea, München, Peking – Stadien, die Zeichen setzen

Auch mit ihren Stadion-Bauten wissen Herzog & de Meuron besondere Akzente zu setzen. Mit der Münchner Allianz Arena beispielsweise haben sie ein perfektes Fußballstadion entworfen, das zur Fußball-WM 2006 eingeweiht wurde und durch größtmögliche Nähe aller Sitze zum Spielfeld überzeugt. Beim Architektenwettbewerb konnte sich ihr Entwurf gegen „architektonische Weltstars“ wie Meinrad von Gerkan, Peter Eisenman, Norman Foster oder Helmut Jahn durchsetzen. Rund 2800 rautenförmige, mit Druckluft gefüllte Kissen bilden die äußere Haut der Arena. Der riesenhafte Reifen lässt sich durch innenliegende Leuchtstoffröhren in unterschiedlichen Farben beleuchten, bei Rot spielen die Bayern, bei Blau die Löwen, bei Weiß die Nationalmannschaft.

Weltbekannt ist auch das Nationalstadion Peking, das für die Olympischen Sommerspiele 2008 von Herzog & de Meuron geplant wurde. Inspiriert durch den chinesischen Künstler Ai Weiwei  entstand die Idee, ein Stadion nach dem Vorbild eines Vogelnestes zu bauen. Die äußere Hülle des Stadions bildet ein 42.000 Tonnen schweres verschlungenes Stahlgerüst, das aus Tausenden vorgefertigter Einzelteile – jeweils bis zu 350 Tonnen schwer – besteht. Sein Erscheinungsbild sei pure Struktur, erläutern die Architekten auf ihrer Website. Der Raum, der das Stadion umgibt, sei Fassade, Struktur, Dekoration und öffentlicher Raum in einem. Er sei die Verbindung zwischen der Stadt draußen und dem Stadion im Inneren. Ferner sei es gleichzeitig ein autonomer öffentlicher Platz. Jacques Herzog hofft, dass „dieses Bauwerk für Peking das wird, was der Eifelturm für Paris ist“.

Mit inzwischen 70 Jahren sind die beiden Architekten noch lange nicht baumüde. Man darf gespannt sein auf weitere Landmarks von Herzog & de Meuron, zum Beispiel auf das neue Stadion des FC  Chelsea London, das in der Saison 2021/22 eröffnet werden soll.

Meinhard von Gerkan – Bauwerke mit Strahlkraft

Teil 16 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Meinhard von Gerkan
*3. Januar 1935 in Riga, Lettland
Deutscher Architekt

Vom Flughafen Berlin-Tegel bis zum Flughafen Berlin-Brandenburg (BER), vom neuen Berliner Hauptbahnhof bis zum Bernabéu-Stadion in Madrid oder dem Neubau des Frankfurter Schauspielhauses: Wenn es um öffentliche Landmark-Projekte geht, ist der Namen Meinhard von Gerkan und sein Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) mit im Spiel. Zwischen seinem ersten großen Projekt, dem Flughafen Tegel (Bauzeit 1965 bis 1974), das ihn bereits weltweit bekannt machte, und seinem Nachfolger, dem BER, liegen 55 Jahre, in denen der Ausnahmearchitekt zahlreiche Bauwerke mit großer Strahlkraft entworfen hat. Neun seiner Gebäude stehen bereits unter Denkmalschutz.

Fulminanter Start in Tegel

Meinhard von Gerkan stammt aus einer deutsch-baltischen Familie und wuchs als Pflegekind in Hamburg auf. 1964 schloss er sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Braunschweig ab. Im Jahr darauf gründete er zusammen mit Volkwin Marg sein eigenes Büro gmp, welches bis heute seinen Hauptsitz in Hamburg hat. Bereits in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens gewannen von Gerkan und Marg acht Architekturwettbewerbe und konnten sich den Auftrag für den Flughafen Berlin-Tegel sichern.

Bild: Flughafen Berlin-Tegel von Mario Hagen. Lizenz: Pixabay

Der zivile Flugverkehr in Tegel hatte bereits 1960 begonnen, aber die Flughafenanlagen Tegel-Süd entstanden erst zwischen 1965 und 1975 nach Plänen des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner (gmp). Der Flughafen ist beispielhaft für die Architektur der 1960er Jahre und das Konzept eines Drive-In-Airports. Der markante sechseckige Flugsteigring ermöglicht den Fluggästen einen möglichst schnellen und kurzen Weg vom Eingang des Flughafens zum Flugzeug. Für eine spätere Erweiterung der Kapazitäten des Flughafens hatte Gerkan ursprünglich ein weiteres Sechseck spiegelverkehrt zum ersten vorgesehen. Heute steht der gesamte Flughafen unter Denkmalschutz, sein ebenfalls von gmp geplanter Nachfolger in den Startlöchern.

Öffentliche Räume, öffentliche Wirkung

Nach der Fertigstellung des Flughafens nahm Meinrad von Gerkan 1974 eine Professur an der TU Braunschweig an, an der er bis 2002 das Institut für Baugestaltung leitete. Später gründete er zusammen mit Marg auch noch die Academy for Architectural Culture, eine international ausgerichtete und gemeinnützige Fortbildungseinrichtung für Architekturstudenten.

Sein Architekturbüro gmp ist auf allen Kontinenten für seine Großprojekte wie Flughäfen, Stadien und Kulturbauten bekannt, aber auch für den sensiblen Umgang mit vorhandener historischer Bausubstanz.

Große Aufmerksamkeit erhielt Gerkan für den Bau des neuen Berliner Hauptbahnhofs, der 2006 – pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – fertiggestellt wurde.

Bild: Olympiastadion Berlin von Martijn Mureau. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Aufgabe war anspruchsvoll: Statt der bis dahin vorherrschenden Kopfbahnhöfe sollte der neue Berliner Hauptbahnhof im so genannten „Pilzkonzept“ gebaut werden. An der Stelle des ehemaligen Lehrter Bahnhofs entstand Europas größter Turmbahnhof. Das markante Gebäude erhielt vor allem für seine Bügelbrücken direkt über den Gleisen viel Aufmerksamkeit. Dafür wurden kurz vor Beendigung der Bauarbeiten 70 Meter hohe Stahltürme um 90 Grad gegeneinander gekippt. Für seine Leistung erhielt er den Renault Traffic Future Award, den einzigen deutschen Architekturpreis für Verkehrsbauwerke.

Der Umbau des Berliner Olympiastadions 2004 brachte von Gerkan großes Lob für den Umgang mit der Historie des Ortes ein und unterstrich seinen weltweiten Ruf als Stadienarchitekt. Zu seinen teils preisgekrönten Stadien gehören unter anderem die Commerzbank-Arena in Frankfurt, das RheinEnergieStadion in Köln und die Arena da Amazônia in Brasilien. Zahlreiche weitere Arenen, Museen, Messebauten, Krankenhäuser und Konzerthallen folgten auf der ganzen Welt folgten. Eine seiner Hauptwirkungsstätten ist auch Hamburg, deren Stadtbild durch viele gmp-Gebäude geprägt ist. In China bildete er die Satellitenstadt Lingang sogar dem Hamburger Zentrum nach, eine künstliche City, die sich in konzentrischen Kreisen um eine künstliche Alster legt.

Als Frankfurter darf man gespannt sein, ob und wie er bei der Neugestaltung des Schauspiels und Opernhauses mitwirken wird.

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Yvonne Farrell und Shelley McNamara – Meisterinnen der Moderne

Teil 15 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Bild: „Yvonne Farrell and Shelley McNamara“ von Alice Clancy. Lizenz: Pritzker Architecture Price

Yvonne Farrell
*1951
Irische Architektin

Shelley McNamara
*1952
Irische Architektin

Der Pritzker-Preis 2020 geht an das Architektinnen-Duo Yvonne Farrell und Shelley McNamara. Sie „kreieren Räume, die gleichzeitig respektvoll und neu sind“, begründete die Hyatt-Stiftung ihre Wahl.

Mit Farrell und McNamara werden erst zum dritten Mal Frauen mit dem Pritzker-Preis, dem „Oscar der Architektur“ ausgezeichnet, der seit 1979 alljährlich verliehen wird. „Der Pritzker-Preis feiert architektonisches Talent, und dieses Jahr ist es eine ganz besondere Feier, weil die Gewinner nicht nur Vorzüglichkeit in ihrer Arbeit repräsentieren, sondern uns auch dazu auffordern, auf die vielen, vielen Frauen zu schauen, die rund um die Welt als Architektinnen arbeiten“, betonte auch Martha Thorne, geschäftsführende Direktorin des Pritzker-Preises und Dekanin der School of Architecture and Design an der IE University in Madrid, im Rahmen ihrer Laudatio.

Bild: „Universita Luigi Bocconi“ von Alexandre Soria. Lizenz: Pritzker Architecture Price

Moderner Architektur und kommunikative Begegnung
Farrells und McNamaras Werke widmen sich der Frage, wie öffentlicher Raum funktioniert, wie man privaten und öffentlichen Raum verbinden kann und wie man sich in ihm begegnet. Gerne deuten sie dafür Funktionen bestimmter Gebäudeabschnitte um: So werden aus Balkonen und Treppenhäusern Orte, die über ihre jeweilige Funktion hinaus zur Kommunikation und zum gemeinsamen Verweilen einladen. Gleichzeitig stehen die Bauten von Farrell und McNamara aber auch in der Tradition der klassischen Nachkriegsmoderne.

Yvonne Farrell (*1951 in Tullamore, Irland) war in den 1990ern Mitglied der Gruppe 91, die für die Erneuerung des vom Abriss bedrohten Dubliner Stadtteils Temple Bar verantwortlich war. Shelley McNamara (*1952 in Lisdoonvarna, Irland) war viele Jahre als externe Prüferin an der Universität Cambridge und der London Metropolitan School of Architecture tätig. Die beiden Irinnen lernten sich beim Architekturstudium am University College Dublin (UCD) kennen und lehrten dort anschließend als Dozentinnen, später als außerordentliche Professorinnen im Fachbereich Architektur. Auch nach der Gründung ihrer Agentur Grafton Architects blieben sie der Lehre treu und unterrichteten an der Accademia di Architettura di Mendrisio (AAM) und der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). Zudem sind Farrell und McNamara als erste weibliche Architekten gewählte Mitglieder der bedeutendsten irischen Kunstorganisation „Aosdána“.

Grafton Architects
Yvonne Farrell und Shelley McNamara gründeten 1978 mit drei weiteren Partnern das Architekturbüro Grafton Architects in Dublin. Ihre Gebäude zeichnen sich durch große,

Bild: „Universita Luigi Bocconi“ von Federico Brunetti. Lizenz: Pritzker Architecture Price

sichtbare Beton- sowie harte Ziegelflächen und offengelegte Konstruktionen aus. Für die Wirtschaftsfakultät der Bocconi-Universität in erhielten sie auf dem World Architecture Festival 2008 den Preis in der Kategorie „Gebäude des Jahres“. Für die Universidad de Ingeniería y Tecnología (UTEC) in Lima verlieh ihnen das Royal Institute of British Architects (RIBA) eine Auszeichnung für das „beste neue Gebäude der Welt“.
Spätestens 2018 wurden die Architektinnen auch international sichtbar, als sie die Architekturbiennale in Venedig unter dem Motto „Free Space/Freiraum“ kuratierten und dazu auch ein Manifest veröffentlichten. Darin definieren sie Freiraum als „Freigebigkeit des Geistes, als Mut zu einem neuen Denken, zugleich als Sinn für Menschlichkeit und Grundlage der Architektur“. Die Architektur sehen sie als „eine der komplexesten und wichtigsten kulturellen Aktivitäten auf dem Planeten.“

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