Lina Bo Bardi – modernistische Denkerin

Teil 27 der Plateau RED-Reihe „Inspirierende Persönlichkeiten der Architektur“

Lina Bo Bardi
*1914 in Rom, Italien
†1992 in São Paulo, Brasilien
italienisch-brasilianische Architektin und Designerin

Lina Bo Bardi zählt zu den wichtigsten und ausdrucksstärksten Architekten und Designern Brasiliens. Im Jahr 2021 wurde ihr auf der Architekturbiennale in Venedig posthum der Goldene Löwe für ihr Lebenswerk verliehen: „Es sind vor allem [Lina Bo Bardis] kraftvolle Bauten, die in ihrer Gestaltung und in der Weise, wie sie Architektur, Natur, Wohnen und Gemeinschaft miteinander verbinden, herausragend sind.“ (Hashim Sarkis, Kurator der Biennale 2021)

Bild: „Lina bo bardi, tripé, 1948” von Sailko. Lizenz: CC BY 3.0

Als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit studierte Lina Bo Bardi von 1934 bis 1939 Architektur. Danach zog sie von Rom nach Mailand und arbeitete dort zunächst als Illustratorin. Parallel sammelte sie erste Erfahrungen als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Architekturbüro von Gio Ponti. Schon früh lag ihr Fokus auf dem gesellschaftlichen Nutzen ihrer Bauten, weshalb sie sich vieler sozialer Wohnungsbauprojekte annahm. Nachdem Bardi nach Brasilien emigriert war, spielte sie für die Entwicklung der modernen Architektur des Landes eine entscheidende Rolle. In São Paulo angekommen identifizierte sie sich schnell mit der sozialkritischen und kulturrevolutionären Antropophagie-Bewegung. Die Bewegung strebte eine kulturelle Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialisten und die Erschaffung einer eigenen brasilianischen Kultur an. Bardi war neben ihrer Architekturtätigkeit auch Redakteurin, Bühnenbildnerin, Illustratorin sowie Schmuck- und Interiordesignerin. So entwarf sie oftmals Teile der Inneneinrichtung für ihre Bauten selbst. Zum Beispiel den zusammenklappbaren „Frei Egidio“-Holzstuhl.

Casa de Vidro

Nachdem Bardi und ihr Mann 1946 nach Brasilien auswanderten, bauten sie sich von 1950 bis 1952 ein eigenes Haus. Das von Bardi selbst entworfene Casa de Vidro (gläsernes Haus) brachte ihr nicht nur viel Aufmerksamkeit und Bewunderung ein, sondern auch jede Menge Aufträge für private und öffentliche Bauten. Der Salon des als Künstlerkonklave angedachten Hauses wird von elf Pfeilern getragen, die hangabwärts angeordnet sind. Die raumhohen Glaswände sind nicht nur außen von Bäumen eingezäunt: Im Inneren des Salons befindet sich eine Aussparung, in der sich nach und nach Pflanzen und Bäume aus dem Garten ihren Weg nach oben bahnen. Im Kontrast dazu steht der klassische, auf dem Boden liegende, hintere Teil des Hauses, in dem sich die privaten Zimmer verbergen. Dadurch schafft das Gebäude einen fließenden Übergang vom traditionellen zum modernen Baustil.

Museu de Arte de São Paulo

Bild: Museu de Arte de São Paulo von Mike Peel. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Als das Museum, das nach Bardis Entwürfen gebaut wurde, 1968 offiziell eingeweiht wurde, war sogar Königin Elisabeth II. des Vereinigten Königreichs anwesend. Das Kunstmuseum in São Paulo gilt heute als Wahrzeichen der Stadt und der modernen brasilianischen Architektur. Der Hauptkörper – ein Quader aus Glas und Beton – wird von zwei massiven seitlich angebrachten roten Betonbügeln acht Meter über dem Boden getragen. Dadurch wurde das Gebäude zum Pionier der Stahlbetonbauweise in Brasilien. Auch das Areal unter dem Quader wird genutzt: Auf dem 74 Meter großen Platz finden regelmäßig Veranstaltungen und Märkte statt. Die verglasten Wände öffnen das Gebäude und die bedeutenden Kunstsammlungen im Inneren optisch zusätzlich zum nahegelegenen historischen Stadtzentrum und dem Stadtpark. Bardi selbst sagt über ihr Design, dass sie „nicht nach Schönheit gesucht [habe], [sondern] nach Freiheit.“ Im Jahr 2003 wurde der Bau vom brasilianischen Institut für Historisches und Künstlerisches Erbe als nationales Kulturgut anerkannt.

Fábrica de Pompéia – SESC Pompéia

Bild: „Lina Bo Bardi, SESC Pompéia (5320956259)“ von Paulisson Miura. Lizenz: CC BY 2.0

Die ehemalige Fass-Fabrik wurde von 1977 bis 1986 nach Bardis Entwürfen aufwendig zu einem Sport-, und Kulturzentrum umgebaut. Die Herausforderung bestand dabei darin die bestehende Struktur mit neuen Bauten nach ihrem Design zu einer Einheit zu kombinieren. Da die existierende Struktur von den Einheimischen bereits für soziale Veranstaltungen genutzt wurde, wollte Bardi diese Funktionen nicht wegnehmen, sondern durch Veränderungen noch verstärken. Dazu ließ sie zunächst den Gips am alten Gebäude entfernen, um den rohen Beton darunter freizulegen. Dann ließ sie zusätzliche Betontürme bauen, die sie durch acht Laufbrücken mit dem alten Gebäude verband. Als Kontrast zum gradlinigen, grauen Beton wurden unförmige Fensterlöcher in die Türme geschlagen in die rote Schiebegitter eingesetzt wurden. Während der langen Entstehungsphase war Bardi auch in die Entscheidungen der Inneneinrichtung – von Möbeln bis hin zum Design der Uniformen für Angestellte – involviert. Sie wollte Räume für die gesamte Öffentlichkeit, aber ohne Hierarchien erschaffen.