Faszination Coworking
„Das Büro der Zukunft wird sich von dem der Gegenwart oder der Vergangenheit (…) nicht so sehr durch seine futuristischen Arbeitsmöbel unterscheiden, sondern durch seine organisatorische Struktur und sozialen Aspekte“ (Passig 2013)
Wohin entwickelt sich das, was wir häufig lapidar „das Büro“ nennen? Wird alles einfach nur „schöner“ oder vielleicht auch „funktionaler“ als dies bislang der Fall war? Oder möglicherweise schlicht kostenbewusster, billiger? Wie sieht die Wissensarbeit der Zukunft aus? Wird es überhaupt Veränderungen geben, abgesehen von der Entwicklung ständig neuer, informationstechnischer Geräte wie Laptops, Smartphones, Tablets und ähnlichem? Vor diesem Hintergrund untersuchten Stefan Rief und Klaus-Peter Stiefel von Fraunhofer IAO das Phänomen „Coworking“.
Einen Auszug aus ihrer aktuellen Analyse „Faszination Coworking, Potentiale für Unternehmen und ihre Mitarbeiter“ veröffentlichten sie im Kyocera Magazin:
„Interessanter als die Frage, wie Coworking entstanden ist, ist zunächst die Frage, warum ist Coworking überhaupt entstanden? Nun, in den 1990er und Millenniumsjahren war die Entwicklung von den meisten großen und mittelständischen Unternehmen durch den Trend zum Outsourcing und Offshoring vieler Dienstleistungen gekennzeichnet. Im Mittelpunkt standen hier IT-Dienstleistungen, deren Akteure in sehr großer Zahl ausgelagert wurden. Diese meist hochqualifizierten IT-Spezialisten fanden sich in kurzer Zeit als selbstständige „Freelancer“ wieder. Der Outsourcing- und Offshoring-Trend erstreckte sich global über praktisch alle wirtschaftlich hochentwickelten Länder.
Die Entstehung des Coworking
Diese Freelancer arbeiteten zunächst vielfach zuhause. Doch schon bald wurden an dieser Situation für die Betroffenen Mängel offenbar, die der Software-Entwickler Brad Neuberg im Jahr 2006 brillant formulierte: „I could either have a job which would give me structure and community or I could be a freelancer and have freedom and independence. Why couldn’t I have both?“
Auf der einen Seite also Freiheit und Unabhängigkeit, gleichzeitig aber ein Mangel an Gemeinschaft und organisatorisch-räumlicher Struktur – eine Situation, die mit Sicherheit zutreffend auch für gut ausgelastete Freelancer gewesen sein dürfte. Und genau dieser Mangel war es, der in der Folgezeit adressiert wurde: So entstanden unter Mitwirkung von Brad Neuberg in den Jahren 2005 und 2006 in San Francisco im „Spiral Muse“ und in der „Hat Factory“ zwei der frühen gemeinschaftlichen Arbeitsräume, die als „Coworking Spaces“ bezeichnet wurden. Jedoch – ähnliche Räume für Selbstständige und Startups hatten sich zu dieser Zeit auch schon in Europa vereinzelt entwickelt: Die „Schraubenfabrik“ 2002 in Wien und „The Hub“ in London 2005 seien hier nur exemplarisch genannt. Viel interessanter als die Frage, welches denn nun der erste Coworking Space war, ist daher die Erkenntnis, dass ungefähr zur selben Zeit an den unterschiedlichsten Orten der Welt vollkommen unabhängig voneinander sehr ähnlich konzipierte, gemeinschaftliche Arbeitsräume entstanden sind. Ein klares Zeichen, dass die Zeit reif war für eine neue Idee. Und diese Idee entwickelte sich zum Erfolgsmodell.
Der Coworking-Hype
In der Folgezeit entwickelte sich die Zahl der Coworking Spaces schon nahezu explosionsartig: jährliche Wachstumsraten von anfangs über 100 Prozent, inzwischen noch immer über 80 Prozent, belegen deutlich den hohen Bedarf an „Struktur und Gemeinschaft“, den Brad Neuberg seinerzeit erkannt hatte. Lag im Jahr 2006 die Zahl der Coworking Spaces noch bei 30, liegt diese in der Zwischenzeit weltweiten Schätzungen zufolge bei 4.400, die Zahl der Coworker wird aktuell auf über 200.000 geschätzt. (Diese aktuell geschätzten Zahlen wurden von Carsten Foertsch vom Deskmag-Magazin in einem Vortrag zum IAO-Zukunftsforum Ende Januar 2014 genannt).
Doch: was ist es, was Coworking so faszinierend macht, woher kommt diese große Anziehungskraft, die Coworking Spaces offenbar auszeichnet? Diese Frage kann nur dann halbwegs ernsthaft beantwortet werden, wenn wir hier sowohl kommerzielle als auch emotionale Interessen der Coworker berücksichtigen.
Faszination Coworking oder „It’s just about fun“
Was den kommerziellen Aspekt betrifft: wir haben gesehen, dass Coworker früher sehr häufig im Home-Office gearbeitet haben. Dort hatten sie mehr oder weniger Ruhe und sie konnten ihre Aufgaben zumeist am Laptop erledigen. Was fehlte? Es fehlte der Austausch mit Gleichgesinnten, es fehlten die „Sparringspartner“, mit denen man ein fachliches Problem diskutieren konnte. Es fehlten Ansprechpartner, wenn man bei einer Aufgabe nicht weiterkam. Es fehlten Kontakte, mit denen man auch umfangreichere Projekte zusammen akquirieren und bearbeiten konnte.
Der emotionale Aspekt ist vielfältig. Zunächst ist klar, dass es den Freelancern an einer Gemeinschaft fehlte – oder, wie es neudeutsch in der Coworking-Welt heißt – einer Community. Eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, in der man sich wohlfühlen konnte, die einem Hilfe gewährte und denen man selbst auch Hilfe anbieten kann. Doch – reicht dies schon aus, um dem Ganzen eine solche Faszination zu verleihen, wie man sie beim Betreten vieler Coworking Spaces spontan wahrnimmt? Wohl nicht, es muss noch etwas hinzukommen. Und da erinnern wir uns an den eingangs zitierten Satz: entweder Freiheit und Unabhängigkeit oder Struktur und Gemeinschaft. Coworker in guten Spaces haben hingegen beides – und dies ist in der Tat faszinierend, denn welche Gruppe von Berufstätigen kann das sonst von sich behaupten?
Kombination von Freiheit und Gemeinschaft
Die Faszination des Coworking liegt also zum einen in der Kombination von Freiheit und Gemeinschaft und zum anderen in der Kombination von kommerziellen und emotionalen Aspekten der Arbeit. Und damit sind wir nun auch imstande, den in der Überschrift zitierten Satz zu korrigieren: Jawohl, es geht beim Coworking natürlich auch um Spaß, um „Fun“ – aber keineswegs nur. Es geht auch um das Business. Es geht um Kreativität, es geht um Produktivität, es geht um Innovation, es geht um permanentes Lernen, es geht um geschäftliche und private Kontakte.
Hinzu kam, dass sich seit frühester Zeit des Coworking ein gemeinsamer Wertekanon herausgebildet hat, der inzwischen von nahezu allen Coworking Spaces angenommen und von den meisten Beteiligten auch gelebt wird. Die ursprünglich im „Citizen Space“ – einem der ersten Coworking Spaces in den USA – definierten Werte sind: „Collaboration“- Zusammenarbeit, „Community“- Gemeinschaft, „Sustainability“ – Nachhaltigkeit, „Openness“ – Offenheit sowie „Accessability“ – Erreichbarkeit und Zugänglichkeit. Diese gemeinsam geteilten Werte haben dazu geführt, dass Coworking heute vielfach als mehr gilt denn bloßes beieinander und zusammen Arbeiten – Coworking ist zu einer Bewegung geworden, die diese Bezeichnung durchaus verdient.
Wohin entwickelt sich Coworking?
Die Coworking-Bewegung ist noch immer sehr jung – und sie wird noch einige Jahre sehr hohe Wachstumsraten aufweisen. Gleichzeitig werden inzwischen auch mehr und mehr „klassische“ Unternehmen auf die Coworking-Welt aufmerksam. Man beginnt, die Faszination des Coworking wahrzunehmen und sich dafür zu interessieren, man beginnt Berührungspunkte zu finden, Kooperationen in unterschiedlichster Form und Intensität zu suchen. Dies hat natürlich handfeste kommerzielle Hintergründe: angesichts des aktuellen Fachkräftemangels sind benötigte Spezialisten immer häufiger in Coworking Spaces zu finden. Die Faszination des Coworking hält nicht wenige Freelancer inzwischen davon ab, wieder in einem Angestelltenverhältnis arbeiten zu wollen. Insofern ist zu fragen: wird coworking-ähnliches Arbeiten zur neuen Form der Wissensarbeit?“
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